[Hamburg. Irgendwann in der letzten Woche.]
[Großer Junge:] „Mami, heute mache ich eine Aufführung.“
[Mutter:] „Aha?“
[GJ:] „Ja! Ich gehe gleich mal und klingele überall im Haus, damit die Nachbarn als Zuschauer kommen.“
[Mutter:] „Willst Du die Aufführung nicht lieber am nächsten Wochenende machen? Dann kannst Du heute Einladungen schreiben.“
[Eine Weile später.]
[Mutter:] „Was machst Du denn da?“
[GJ:] „Ich mache ein Plakat und Einladungen!“
[Mutter:] „Einladungen?“
[GJ:] „Ja, für meine Aufführung! Hatte ich doch gesagt: Ich mache am nächsten Wochenende eine Aufführung.“
[Mutter:] „Ach so.“
[Eine Weile später.]
[GJ:] „Kannst Du mir mal alle Namen von den Leuten sagen, die bei uns im Haus wohnen?“
[Mutter:] „Wie bitte?“
[GJ:] „Kannst Du mir alle Namen von den Leuten sagen, die bei uns im Haus wohnen?“
[Mutter:] „Wozu brauchst Du die denn?“
[GJ:] „Na, für die Einladungen! Für meine Aufführung! Hatte ich doch gesagt!“
[Mutter, zögerlich:] „Ja, also… – Du willst alle einladen, die bei uns im Haus wohnen?“
[GJ:] „Ja.“
[Mutter:] „Bist Du sicher? Alle?“
[GJ:] „Ja, klar. Naja, vielleicht nicht den, dessen Hund manchmal vorne vor die Haustür pinkelt. Aber alle anderen. Also: Sagst Du mir jetzt die Namen?“
[Mutter zählt die Namen der Nachbarn nacheinander auf. GJ schreibt insgesamt 8 Einladungen für die Nachbarn und verteilt sie im Laufe der folgenden Tage in die Briefkästen.]
[Später in der Woche.]
[Mutter:] „Guck‘ mal, hier ist Post für Dich!“
[GJ:] „Oh, das ist sicher eine Antwort auf meine Einladung!“
[GJ reißt den Briefumschlag auf und liest.]
[GJ:] „Toll! Die Nachbarin von unten kommt schon mal!“
[Über die nächsten Tage trudeln per Post drei Zusagen und vier Absagen ein, davon vier handgeschrieben an den großen Jungen, eine persönlich an der Wohnungstür und zwei per SMS/Email an die Mutter. Ein Nachbar kommt einfach, ohne zugesagt zu haben.]
[Sonntag vormittags.]
[Mutter:] „Also, für die Aufführung bist Du zuständig. Ich kümmere mich nur um Kuchen und Getränke.“
[GJ:] „Und die Zuschauer?“
[Mutter:] „Die kümmern sich ums Zugucken und Klatschen.“
[GJ:] „Wieso? Willst Du nicht zugucken und klatschen?“
[Mutter:] „Ja, doch, klar. Also ich bin zuständig für Kuchen und Getränke, und ich gucke auch zu und klatsche. Aber für die Aufführung bist Du zuständig.“
[GJ:] „Okay. Aber Kuchen und Getränke kriege ich auch.“
[Mutter richtet übrig gebliebene Kuchenstücke der letzten Tage auf einem Teller an und stellt Getränke bereit.]
[Sonntag nachmittag um halb drei. Es klingelt.]
[GJ:] „Mami, kannst Du aufmachen? Ich muss noch die Luftballons festknoten!“
[Mutter:] „Mach‘ bitte selbst auf, das sind Deine Gäste!“
[GJ:] „Okay!“
[Bis circa viertel vor drei sind alle Gäste eingetrudelt – insgesamt sechs Personen. Zuerst gibt es Kuchen und Getränke, danach beginnt die Aufführung. Musik: Die Vogelfänger-Arie aus der Zauberflöte, beliebig oft wiederholt. Text: Fast keiner. Handlung: Großmutter tanzt durch den Wald, trifft den Raben und den Polizisten, der Rabe gerät in einen Streit mit dem Krokodil, welches später mit dem Wolf spielt, am Ende kriegen sich die Großmutter und der Polizist sowie das Krokodil und der Wolf. Pausen: Zwei.]
[Im zweiten Akt rumpelt es plötzlich hinter dem Theater und GJ verschwindet aus dem Blickfeld. Applaus vom Publikum, Getuschel: „Das ist ganz avantgardistisches experimentelles Theater!“]
[GJ, aus dem Off rufend:] „Jetzt ist eine Pause.“
[Das Publikum bedient sich mit Kuchen und Getränken. Glockengebimmel. Musik setzt wieder ein. Das Stück geht weiter.]
[Später.]
[GJ, flüsternd:] „Mami, es ist gleich vier Uhr!“
[Mutter, flüsternd:] „Ja, und?“
[GJ, flüsternd:] „Um vier Uhr sollten die doch gehen! Sagst Du denen, dass sie jetzt gleich gehen sollen? Die haben ihre Einladungen wohl nicht richtig gelesen.“
[Mutter, flüsternd:] „Die gehen bestimmt gleich.“
[Etwas später, nachdem alle gegangen sind.]
[Mutter:] „Das hast Du ganz toll vorbereitet und auch ganz toll gemacht.“
[GJ:] „Aber als ich umgefallen bin, das hat eigentlich nicht zum Stück gehört. Da ist mir der Stuhl weggerutscht, und dann bin ich hingefallen und habe mir weh getan, und ich habe auch ein bisschen geweint. Aber dann habe ich einfach eine Pause gemacht und mich aufs Sofa gelegt, und danach ging es weiter.“